Der Umsatz wächst, das Chaos auch
Am Beispiel eines Elektro-Unternehmens
Folgendes Szenario
Das Unternehmen wächst, das Chaos wächst mit: Ein Installationsunternehmen entsteht und wächst
Herr K. hat seinen Beruf von der Pike auf gelernt und übt ihn gerne aus. Er hat seit zwei Jahren einen Meisterbrief und macht sich nach längerem Überlegen selbstständig. Es spricht sich herum, dass er zuverlässig, genau und günstig arbeitet. Sein Terminkalender wird zunehmend voller.
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Zeit für die Familie hat er immer weniger, Zeit für die Buchhaltung und Organisatorisches meist erst später am Abend oder am Wochenende. Sein Geschäft läuft so gut, dass er seinen ersten Mitarbeiter einstellt. Diesem folgen bald weitere und innerhalb der darauffolgenden Jahre wächst der Betrieb auf 20 Arbeiter/innen und Angestellte an.
Alle sind der Meinung: „Der Chef weiß alles, kann alles und entscheidet alles.“ Denn auf diese Art läuft der Betrieb seit der Gründung. Herr K. kennt seine Kunden persönlich. Er ist mittlerweile auch ein guter, kundenorientierter Berater, Planer und Verkäufer geworden. Die Kunden bekommen, was sie wollen. Er hat die längste Erfahrung und hat das Unternehmen so aufgebaut, wie es seinen Vorlieben und seinem persönlichen Arbeitsstil am besten entspricht.
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An einem Montag passiert Ähnliches wie beim Wasser-Installateur in der anderen Geschichte aus der Praxis:
Sein langjähriger Kunde, zu dem Herr K. beinahe ein freundschaftliches Verhältnis hat, ruft bei ihm direkt an: „Kannst du kurz vorbeikommen? Wir brauchen drei zusätzliche Steckdosen im Wohnzimmer.“
Herr K. geht diesmal selbst ins Lager, holt sich die gewünschte Anzahl der Steckdosen sowie die nötige Dreifach-Unterputzdose, dazu Gips, Kabel und was er sonst noch braucht. Er trägt die Warenentnahme aus Zeitmangel nicht in die dafür vorgesehene Liste ein: „Ich habe gerade keine Zeit und mache das selbstverständlich, wenn ich retourkomme.“ Einer seiner Mitarbeiter, der gerade auf einer anderen Baustelle arbeitet und ebenfalls Material benötigt, nickt zustimmend und trägt seine Materialentnahme auch nicht ein, denn er hat es ja ebenfalls eilig.
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Als Herr K. wieder in den Betrieb zurückkommt, vergisst er selbstredend die Warenentnahme einzutragen, weil ihn gleich nach seinem Eintreffen ein Arbeiter fragt, ob er morgen freihaben könne. Dann kommen die Telefonate und Fragen von den unterschiedlichen Baustellen, der Buchhaltung, der Kunden, der Steuerberaterin usw. Es ist eben der bei ihm übliche Büroalltag. Am späteren Nachmittag kommt dann ein Monteur zu ihm ins Büro und teilt ihm mit:
„Wir haben ein Problem, uns fehlen Kabel für die Großbaustelle im Krankenhaus.“ „Das gibt’s doch nicht“, ist Herr K. entsetzt. „Warum sind die nicht bestellt. Darum hätten Sie sich längst kümmern müssen. Jetzt kann ich das wieder selbst ausbaden. Ich bestelle am besten selbst nach. Da kriegen wir einen besseren Preis bei der Expresszustellung“, meint er nach kurzem Überlegen. Doch sein Vertreter bei der Lieferfirma ist heute nicht erreichbar. Also bestellt er notgedrungen auf dem offiziellen Weg über das Sekretariat der Zulieferfirma und erfährt, dass der Preis wegen der Express-Lieferzeit um einiges höher sein wird als gewöhnlich. Er geht daraufhin zu seiner Buchhalterin und erzählt ihr verärgert von dem Telefonat. Gleichzeitig erklärt er ihr, sie dürfe die Rechnung nicht gleich zahlen, sondern habe ihn zu verständigen, sobald die Rechnung bei ihr auf dem Schreibtisch liegt.
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Dann kehrt er wieder an seinen Schreibtisch zurück, um ein Angebot für die örtliche Hauptschule – ein weiteres Großprojekt – zu kalkulieren. Als er sich gerade setzt, verbindet ihn die Sekretärin mit einem erbosten Kunden, der seit ein paar Tagen auf einen Techniker gewartet hat, um den defekten Kühlschrank zu begutachten. Herr K. bestellt nach dem Telefonat sofort den Gerätetechniker T. zu sich ins Büro. Der erklärt ihm dann: „Sie haben gesagt, dass Sie sich persönlich um den Kühlschrank von Herrn M. kümmern wollten, da dessen Haus auf Ihrem Heimweg liegt.“ Leider hat sich Herr K. diese Aufgabe nicht notiert. Denn eigentlich hatte er immer alles im Kopf, was zu erledigen ist. Aber es ist nun doch schon sehr vieles geworden, das er sich merken sollte. Also schaltet er seinen Computer ab, um das Schreiben des Angebots auf später zu verschieben und fährt zum erbosten Kunden. Dieser erklärt ihm, dass er den Auftrag bereits an die Konkurrenz vergeben hat.
Am Abend setzt er sich zur Abrechnung eines Projektes und stellt fest, dass ihm wieder einmal einige Stunden- und Materialaufzeichnungen fehlen sowie einige der Tagesberichte kaum leserlich sind. Er muss also morgen früh seine Mitarbeiter fragen, was diese wann eingebaut haben. Seiner Frau erzählt er, wie stressig der Tag war und dass es frustrierend ist, dass er sich um alles selber kümmern muss, wenn es funktionieren soll.
Betriebsblind?
Wo fängt der Fisch im Allgemeinen zu stinken an? Und wie war das nochmals mit der Betriebsblindheit?
Was ist im Laufe der Jahre geschehen? Was wurde übersehen?